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Hasenbergl

"Hasenbergl? Monte coniglio ...? Ma ... !?" Verdutzt wird mancher am Palazzo Ducale in Venedig vorbeieilende Passant im Herbst 2000 auf ein weißes Schild mit blauer Schrift reagiert haben, das den Weg zu einem rätsel-haften Ort namens "Hasenbergl" wies.

Der Wegweiser, der durch unterschiedliche Personen an verschiedenen Orten der Welt  bevorzugt in Groß-städten in der Nähe berühmter Bauwerke installiert und dann fotografiert wurde, ist Teil einer konzeptuellen Arbeit von Vincent Mitzev: "Hasenbergl".

Die in den 1960er- und 1970er-Jahren im Norden Münchens errichtete Trabantenstadt "Hasenbergl" hatte von jeher einen schlechten Ruf. Sie gilt als "Glasscherbenviertel", geprägt durch einen hohen Anteil an Arbeitslosen, Ausländern und einkommensschwachen Haushalten. Trotz Bemühungen um städtebauliche und ökonomische Erneuerung wurde ... Hasenbergl dieses Image bis heute nicht los.

Vincent Mitzev geht gegen diesen schlechten Ruf an, indem er auf den Ort aufmerksam macht. Er macht Hasenbergl berühmt. Der Ort bzw. sein Name wird zum Objekt einer weltweiten Ausstellung. Aus einem kon-kreten Orts- und Kontextbezug heraus entwickelt er eine Arbeit "ex-situ": Der Wegweiser zum Hasenbergl wird de-kontextualisiert und von seinem Ursprungsort aus auf ferne (E)migration geschickt. Ein marginaler wie mar-ginalisierter Ort wird entgrenzt und in die "Zentren der Welt" getragen.

Das schlichte Schild verliert seine denotative Funktion und wird zu einem "visuellen Werkzeug". Über die Bezeichnung des topographischen Ortes hinaus weist es auf eine spezifische urbane und gesellschaftliche Realität hin. Einerseits bleibt es ein willkürliches Zeichen, da es ausschließlich für München-Kenner verständlich ist, andererseits wird es zum Stellvertreter für viele ähnliche Realitäten. Die möglichst weite Verbreitung des Wegweisers durch verschiedene Personen schafft individuelle "Konstruktionen von Situationen". Es entstehen immer neue, subtile und zum Teil nur flüchtige Konfrontationen mit unterschiedlichsten urbanen Strukturen und Landschaften.

"Hasenbergl" wird de- bzw. ex-territorialisiert: Die Münchener Siedlung erlangt einen neuen Platz im Be-zugssystem der Weltkarte. Die Schilder zum Hasenbergl, die sich vor dem Kolosseum in Rom, am Centre Pom-pidou in Paris oder vor der Tate Modern in London auf ebenso unscheinbare wie impertinente Weise in ein fremdes, geschichts- und kulturträchtiges Stadtbild einmischen, hinterfragen urbane, institutionelle wie gesell-schaftliche Hierarchien. Das Sprichwort "Alle Wege führen nach Rom" scheint paraphrasiert und die Relation von Peripherie und Zentrum umgekehrt bzw. aufgehoben zu werden. Es entsteht ein Netzwerk, das gleichsam den Entwurf zu einer über den Globus verteilten Sozialisierung bildet. Kurzzeitig nehmen die Bewohner von Hasenbergl weltweit den öffentlichen Raum in Anspruch. In diesem Sinne stellt Mitzevs Arbeit den optimisti-schen Versuch dar, einer gesellschaftlich und ökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppe einen kleinen (virtuellen) Zugang zur großen Familie des Weltbürgertums zu gewähren ...

Valérie Bussmann

    HasenberglHasenberg!

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