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Einladung auf den fliegenden Teppich

Bronze: Das ist das Material, aus dem die Reiterstandbilder sind, von Philipp dem Soundsovielten, mit erhobener Lanze auf zentralen öffentlichen Plätzen. Bronze: Das ist das Material, aus dem die überlebensgroßen Köpfe sozialistischer Denker auf meterhohen Sockeln sind. Flapsig gesagt: Aus Bronze ist alles, was groß und langweilig ist, in Pathos erstarrt. Denn Bronze und Bewegung, das schließt sich aus. Keiner sieht mehr genau hin. Jeder geht achtlos vorbei.

Bis in Villingen-Schwenningen auf dem Rathausplatz ein hüfthoher Eisenpfosten von Vincent Mitzev eigene Ideen hat. Er mag nicht länger starr sein. Also bewegt er sich, ganz sacht und leise. Er wird zum Phallus und verunsichert mitten in der Fußgängerzone arglose Passanten.

Die großen Gesten gibt es noch immer. In München setzt ein Unternehmen mit dem riesigen "Walking Man" von Borofsky ein kraftvolles Zeichen für Dynamik. Genau diese Denkgewohnheiten zwingt Vincent Mitzev in die Knie: mit seiner in Bronze gegossenen Mausefalle oder dem Deckel eines Lüftungsschachts aus verrostetem Eisen, der vom Hauptbahnhof in Sofia abtransportiert und in der Münchner Leopoldstraße aufgestellt werden soll. Er höhlt die großen Gebärden der anderen aus. Eben deshalb wünscht man sich seine Skulpturen an einen nicht weniger großen öffentlichen Platz.

Bei der Arbeit "O.T." ist das Foto von zwei Künstlern oben in eine unbewegliche Eisenstele eingelassen. Ein Rumäne und ein Japaner, dicke Freunde, und beide betrinken sich gern. Logisch eigentlich, dass bei Vincent Mitzev die Fotos durch einen Motor in ellipsoide Bewegung geraten und zu Fratzen verschwimmen.

Manchmal steigert sich die Bewegung zum Rütteln. Bei "Marta und ich" werden die beiden Personen auf dem Foto so durchgerüttelt, dass sie kaum noch als solche zu erkennen sind. Dabei liegen sie fest in einer Eisenplatte, um die sich ein Saum aus blauem Zierstoff spannt. Ein Liebespaar in bewegten Zeiten? Oder eines, das ständig Zoff hat?

Dann wieder verzichtet Vincent Mitzev auf Bewegung; er kommt ohne sie aus. Der "Ort der Offenbarung" verbindet vier originalgroße Bidets zu einem vierblättrigen Kleeblatt aus weißem Porzellan. Es lädt dazu ein, sich dort niederzulassen wie ein Insekt auf der Blüte. Vielleicht ergibt sich ein vertrauliches Gespräch mit der Nachbarin. Wenn nicht, hat doch jede ihre Ruhe. Offenbarung wird an diesem Ort wirklich möglich ? man muss sich nur trauen.

Oft sind die Gesten von Vincent Mitzev einladend. Er legt ein Hausdach auf den Boden vom Münchner Odeonsplatz, deutet die Fenster nur an, gibt ihm einen pastellgelben Rand und das warme Rotbraun eines Perserteppichs. Und die richtige Höhe, um sich bequem darauf zu setzen. Der Traum vom Fliegen rückt in greifbare Nähe. Denn auf einem Dach zu sitzen, das fühlt sich anders an als auf einer gewöhnlichen Parkbank.

Ein Rat sei noch erteilt: Man nerve Vincent Mitzev nicht mit endlosem Gerede über die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Sonst verliert er die Geduld und versucht, in 50 Tagen und Nächten mit möglichst vielen Frauen zu schlafen. Oder war das nur sein künstlerisches Ich?

Elena Heitsch

    Einladung auf den fliegenden TeppichInvitation to the Flying Carpet

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